88vier – Kreatives Radio für Berlin

“88vier” ist ein nichtkommerzieller Sendeverbund, der im Mai 2010 von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) eingerichtet wurde und auf 88,4 MHz in Berlin und 90,7 MHz in Potsdam zu empfangen ist. Die mabb stellt die beiden Frequenzen im Rahmen einer “Erprobung neuer Sendeformen” bereit.

Fester Bestandteil der “88vier” ist der Berliner Offene Kanal ALEX. Daneben können sich (seit 2010 im Jahresturnus, seit 2012 im Zweijahresturnus) andere Veranstalter um 88vier-Sendezeiten bewerben. Zugangsvoraussetzungen sind “entsprechende Erfahrungen” und ein gewisser Berlin-Brandenburg-Bezug. Radiowerbung ist ausgeschlossen. Der Medienrat entscheidet dann nach Maßgabe der gesetzlichen Vielfaltskriterien. Die Veranstalter erhalten befristete Lizenzen, die im Rahmen der Gesamtkonzeption “88vier” gültig sind. Aktuell senden auf “88vier” neben dem Offenen Kanal zwölf Veranstalter.

Im Mai 2012 bestätigte der Medienrat der mabb den Veranstaltern Colaboradio, Frrapo, Pi Radio und Studio Ansage einen “Community-Radio-Bereich” für eine flexible Sendezeitenverteilung untereinander. Aktuell bespielt der Community-Radio-Bereich 44 Wochenstunden auf “88vier”, von Montag bis Donnerstag jeweils von 19:00 Uhr bis zum nächsten Morgen 6:00 Uhr.

88vier Bestandsaufnahme (2014)

Im Februar 2014, zum Ende des vierten Sendejahres, nahmen die Vertreter des Community-Radio-Bereiches eine kritische Bestandsaufnahme der „88vier“ vor, die sie dem Medienrat der mabb (im Rahmen der Ausschreibung für das fünfte und sechste 88vier-Sendejahr) zukommen ließen.

Folgende Punkte merkt der Community-Radio-Bereich positiv an:

  1. UKW. Dass seit 2010 neben Offenem Kanal ALEX auch andere nichtkommerzielle Radioformen auf UKW senden können, stellt eine wichtige Ergänzung zur öffentlich-rechtlich oder privatwirtschaftlich geprägten Radiolandschaft dar. Die 90,7 MHz ist seit 2014 auch in Potsdam zu empfangen.
  2. Erprobung. Die „88vier“ hat den Veranstaltern die Möglichkeit gegeben, nichtkommerzielle Radioalternativen unter Beweis zu stellen. Der Community-Radio-Bereich konnte technische und redaktionelle Infrastrukturen ausbauen sowie überregionale Zusammenarbeit mit anderen Radios, Plattformen und Verbänden vorantreiben.
  3. Kontinuität. Im Gegensatz zu temporären Radioprojekten ermöglicht „88vier“ kontinuierliches Senden, wodurch Hörerbindung und Planungssicherheit erleichtert wurden.
  4. Gemeinschaft. Der 2012 zugelassene Community-Radio-Bereich auf „88vier“ ermöglicht seinen vier Teilnehmern Partnerschaft, Teilung von Ressourcen, Austausch von Sendezeiten und die Umsetzung gemeinsamer Projekte.

Folgende Punkte kritisiert der Community-Radio-Bereich:

  1. Empfangbarkeit. Die Hauptfrequenz 88,4 MHz ist in der Nordhälfte Berlins, in der sich die Sendestudios von Colaboradio und Pi Radio befinden, nicht oder kaum zu empfangen. Die für Community Media notwendige Kommunikation zwischen Hörenden und Sendenden wird dadurch erheblich erschwert.
  2. Attraktivität. Die „88vier“ wird von der mabb als einheitliches Gesamtprogramm (Sender „88vier“) vermarktet. Da weder seitens Veranstaltern, noch Hörer/innen eine Identifikation mit „88vier“ besteht, bewirkt die 88vier-Gesamtkonzeption das Gegenteil ihres Anspruchs, attraktiver Bestandteil der Rundfunklandschaft sein zu wollen.
  3. Konkurrenz. Die einzelnen 88vier-Veranstalter haben eines gemeinsam: ihre Konkurrenz. Diese macht eine übergreifende Zusammenarbeit unmöglich. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund stellte die 88vier-Koordination bereits vor zwei Jahren gemeinsame „Redaktionstreffen“ ein. Darüberhinaus behindert die Konkurrenzsituation diejenigen Veranstalter, die sich nichtkommerziell für gesellschaftliche Teilhabe und gesteigerte Medienkompetenz einsetzen.
  4. Anspruch. Kommerzielle Motivationen laufen ins Leere, da Radiowerbung verboten ist. Die im Beinamen „Kreatives Radio für Berlin“ versprochene Kreativität wird nur bedingt eingelöst. Die „Marke“ 88vier erzeugt eher das Gegenteil von Werbewirksamkeit. Auf „88vier“ lässt sich kein Geld machen, aber auch kein Freies Radio.
  5. Ungleichheit. Aufgrund fehlender gesetzlicher Bestimmungen im MStV werden 88vier-Veranstalter nach ungleichen Kriterien berücksichtigt. Obwohl sie alle Teil der Gesamtkonzeption sind, erhält der Offene Kanal ALEX, unabhängig von der Anzahl seiner Sendemachenden, die meiste Sendezeit und als einziger eine Finanzierung der mabb.
  6. Zugangsoffenheit. Die „88vier“ wird nach dem Prinzip eines Offenen Kanals strukturiert und von der mabb verwaltet. Interessierte Bürger/innen können sich nicht ohne weiteres an ihr beteiligen, da in erheblichem Maße Sendezeiten an externe Veranstalter vergeben werden, die wiederum nicht der Zugangsoffenheit verpflichtet sind. So entspricht die 88vier einem Offenem Kanal ohne chancengleichen Zugang.
  7. Dienstleistung. Die 88vier-Gesamtkonzeption reduziert Veranstalter zu kostenlosen Dienstleistern des Offenen Kanals. Die mabb finanziert nur 88vier-Posten, die für den Offenen Kanal ALEX ohnehin benötigt werden: Sender, Leitungskosten, GEMA. Die für uns notwendige technische Sendeumschaltung in der Voltastraße wird von uns selbst realisiert.
  8. Sendezeit. Neue Projekte und Ideen, Kreatives und Experimentelles, können im Community-Radio-Bereich aktuell kaum umgesetzt werden, weil alle Sendeplätze bereits belegt sind. Insofern engt uns das 88vier-Sendekonzept inhaltlich und formal ein.
  9. Handlungsbedarf. Die Existenz der „88vier“ und ihre nach außen verkündete Vielfalt verwässern den dringend notwendigen Handlungsbedarf, das Mediengesetz Berlin-Brandenburgs im Hinblick auf Förderung von Formen nichtkommerziellen Rundfunks anzupassen.

Fazit:

Vier Jahre „88vier-Erprobung“ zeigen Potenziale auf, machen aber deutlich, dass die „88vier“ als Dauerzustand zunehmend das Gegenteil ihres ursprünglichen Anspruchs bewirkt. Statt Kreativität und Vielfalt zu fördern, führt die Gesamtkonzeption „88vier“ zu Stillstand und Desinteresse.

Auszug aus dem “Gemeinsamen Antrag für Community Radio in Berlin-Brandenburg” der vier Vertreter des Community-Radio-Bereichs vom 1. Februar 2014 im Rahmen der vierten Ausschreibung der Frequenzen 88,4/90,7 MHz der Medienanstalt Berlin Brandenburg (mabb), veröffentlicht unter:

Quantitative Analyse der 88vier (2012)

Im Rahmen der dritten 88vier-Ausschreibung (2012) legte Pi Radio dem Medienrat der Medienanstalt Berlin Brandenburg (mabb) eine quantitative Analyse der 88vier vor (Untersuchungszeitraum: Januar bis März 2012). Die Analyse belegt, dass auf der 88vier ein großes Ungleichgewicht herrscht, was die Redaktionsdichte der einzelnen 88vier-Partner betrifft. Eine gerechtere Sendezeitenverteilung gemäß der mitarbeitenden Redaktionen der einzelnen Veranstalter würde mehr zur Vielfalt beitragen und die Gesamtattraktivität der 88vier erhöhen.