Brandenburg: 6 Punkte für nichtkommerzielles Lokalradio in Brandenburg

Warum fördert Brandenburg keine nichtkommerziellen Lokalradios? In anderen Bundesländern sind nichtkommerzielle Lokalradios (NKL) fester Bestandteil der Medienlandschaft, z.B. in Sachsen-Anhalt, Hessen oder Baden-Württemberg. Vor kurzem hat sich auch Sachsen für Fördermöglichkeiten von NKL entschieden.

Der ehemalige Ministerpräsident Matthias Platzeck erklärte im Januar 2011: „Eine lebendige und vielfältige Presselandschaft ist wichtig für die Heimatverbundenheit und das politische und gesellschaftliche Urteilsvermögen der Menschen in unserem Brandenburg.“ stk.brandenburg.de

Nichtkommerzielle Lokalradios leisten einen wichtigen Beitrag, damit der Brandenburger Lokaljournalismus lebendig und vielfältig bleibt. Sie tragen zum publizistischen Wettbewerb bei und ermöglichen durch aktive Bürgerbeteiligung, lokale Identität und Demokratieverständnis zu fördern.

Im Folgenden werden sechs Punkte dargelegt, die für die medienpolitische Anerkennung und Förderung nichtkommerzieller Lokalradios in Brandenburg sprechen.

1. Medienvielfalt – publizistischer Wettbewerb

  • In Brandenburg ist ein Rückgang des Lokaljournalismus zu verzeichnen. Um einerseits die wirtschaftliche Existenz bestehender privater Lokalveranstalter nicht zu gefährden und andererseits der Gefahr einer zunehmenden Medienkonzentration zu begegnen, sollte mittels der Etablierung nichtkommerzieller Sender der publizistische Wettbewerb im Sinne des Medienpluralismus gefördert werden.
  • Der private Lokalradio-Markt in den vier kreisfreien Städten Frankfurt/Oder, Potsdam, Cottbus und Brandenburg/Havel wird derzeit von einem Veranstalter dominiert: The Radio Group. Sie veranstaltet mehrheitlich Radio Frankfurt, Radio Potsdam, Radio Cottbus und erhielt im Februar 2014 von der mabb Kapazitäten für ein Stadtradio in Brandenburg/ Havel. Lediglich in Potsdam existiert mit Power Radio ein zweites privates Lokalradio (das zusätzlich auch in anderen Regionen Brandenburgs zu empfangen ist). Hinzu kommen im südlichen Brandenburg die Elsterwelle und südlich von Berlin das Hitradio SKW.
  • Die Erfahrungen der „Radio Group“ haben gezeigt: „Wo neue Angebote entstanden sind, hat sich das Engagement aller Beteiligten im Markt deutlich erhöht. Teilweise haben sogar die Zeitungen in den Gebieten, in denen neue Lokalradios auf Sendung gegangen sind, ihre Lokalberichterstattung deutlich ausgeweitet.“ (radioszene.de, 30. November 2011, Interview mit Radio-Group-Geschäftsführer Florian Schuck im Rahmen seines geplanten Lizenzantrages von Cityradio Düsseldorf als zweitem Lokalradio neben dem bestehenden Antenne Düsseldorf.)
  • Die vier kreisfreien Städte Frankfurt/Oder, Cottbus, Potsdam und Brandenburg/Havel wären aufgrund ihrer verhältnismäßig hohen Einwohnerzahl erste geeignete Standorte um nichtkommerzielle Lokalradios in Brandenburg zu etablieren.
  • Der Vorteil von NKLs: sie stellen keine wirtschaftliche Konkurrenz zu privaten Lokalradios dar, da sie werbefrei agieren, also nicht um Werbekunden konkurrieren. Zudem würden sie auch nicht um bestehende Hörer-Zielgruppen konkurrieren, da eine immanente Eigenschaft von NKLs gerade darin besteht, vernachlässigte oder neue Zielgruppen zu erschließen. Nicht zuletzt deshalb stellen sie eine so wichtige Ergänzung zum bestehenden kommerziell orientierten Lokaljournalismus dar.

2. Lokale Identität – aktive Bürgerbeteiligung

  • Der demografische Wandel ist für Brandenburg eine große Herausforderung. Die Bevölkerungszahlen gingen von 1989 bis 2013 in Brandenburg/Havel um 25% zurück, in Cottbus um 30% und in Frankfurt/Oder um 33%. Potsdam hingegen verzeichnet von 1989 bis 2013 einen Bevölkerungszuwachs von 15%.
  • Die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl in Brandenburg 2014 erreichte einen Tiefstand von 47,9 Prozent.
  • NKLs, so hebt es das Europäische Parlament 2008 hervor, und so beweisen es zahlreiche andere Bundes- und europäische Länder, sind ein wirksames Mittel, um lokale Identität und Demokratieverständnis zu fördern.
  • Passivem Medienkonsum setzen NKLs aktive Bürgerbeteiligung entgegen: alle Radiohörer können selbst zu Radiomachern werden; gemeinsam entwickeln sie Inhalte und Farben des Radios als Teil ihrer Stadt.
  • NKLs fördern aufgrund ihrer demokratischen und partizipativen Strukturen Gemeinsinn und Verantwortungsbewusstsein. Sie erhöhen damit die Lebensqualität in der Region.
  • Kooperationen mit lokalen Einrichtungen, Vereinen, Läden und anderen Medien fördern die Zusammenarbeit und stärken somit die lokale Identität.
  • NKLs bieten Raum für öffentliche Debatten. Auf diese Weise können Themen und auch Werte vermittelt werden.

3. Regionaleffekt – lokale Integration

  • Die zur Grundfinanzierung von NKL eingesetzten Mittel bleiben zu 100% im Land.
  • NKLs verpflichten sich, alle weiteren darüber hinaus benötigten Mittel selbst zu akquirieren durch Spenden, Kooperationen und Projektförderungen. Auch diese Mittel bleiben zu 100% in Brandenburg.
  • Kooperationen mit Partnern der Region sowie Radio- und Kulturprojekte überregionaler bis internationaler Art tragen zur Vernetzung bei und bringen zusätzliche finanzielle Mittel in die Region.
  • NKLs fördern den Lokaljournalismus. Sie spielen eine wichtige Rolle bei Ausbildungs- und Fortbildungsprogrammen, die wiederum auch privaten Lokalveranstaltern zugute kommen.
  • NKLs bilden Medienkompetenz aus und tragen dazu bei, dass mehr Einheimische in Brandenburger Medienstandorten einen Arbeitgeber finden.
  • NKLs sind ein Katalysator für Kreativität und Experimentelles. Universitäten und Hochschulen profitieren von ihnen. Uniradios (z.B. ViaFunk in Frankfurt/Oder) erhalten durch NKL die Chance, ein breiteres Publikum anzusprechen.

4. Attraktivität – kulturelle Vielfalt

  • Brandenburg besitzt eine 250 Kilometer lange Grenze zu Polen. NKLs tragen dazu bei, grenzübergreifende Projekte, wie Radio Slubfurt in Frankfurt/Oder und Slubice, zu entwickeln und somit den europäischen Gedanken zu befördern.
  • Im südlichen Brandenburg lebt die national anerkannte Minderheit der Sorben. NKL bietet ihnen die Möglichkeit, eigene Inhalte in ihrer Sprache zu produzieren und zu veröffentlichen.
  • NKLs mobilisieren neue Zielgruppen und tragen zur Entwicklung neuer Inhalte und Programmformate bei.
  • NKLs treten für Toleranz ein. Sie bieten Jugendlichen einen Platz zum Begegnen und Ausprobieren.
  • Lokale Künstler, Bands, Autoren etc. erhalten durch NKL eine öffentliche Plattform.

5. Partizipation – freier Zugang

  • Im Gegensatz zu Berlin verfügt Brandenburg (bis auf Frrapo in Potsdam) über kein zugangsoffenes Rundfunk-Medium und gehört in Bezug auf NKL bundesweit zu den Schlusslichtern.
  • Brandenburg stellt lediglich das MIZ in Potsdam zur Verfügung, um Medienkompetenz zu vermitteln und einen gewissen Grad an Partizipation zu gewährleisten. In Städten wie Frankfurt/Oder, Cottbus oder Brandenburg/Havel wie auch den ländlichen Regionen existiert kein vergleichbares Angebot.
  • Im Sinne von Medienvielfalt, lokaler Identität, demokratischer Teilhabe und kultureller Vielfalt werden in Brandenburg nichtkommerzielle Lokalradios benötigt, um Bürgerinnen und Bürgern ein weiteres Mittel zu bieten, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen.

6. Freies Radio – aktueller Bedarf

  • Im Jahr 2005 beauftragte das Berliner Abgeordnetenhaus den Berliner Senat, mit dem Land Brandenburg Verhandlungen über eine Ergänzung des gemeinsamen Rundfunkstaatsvertrags mit dem Ziel aufzunehmen, eine Finanzierung des nichtkommerziellen lokalen oder regionalen Rundfunks aus Mitteln der Medienanstalt zu ermöglichen. Die Brandenburger Regierung lehnte dies mit der Begründung ab: „Eine Förderung nichtkommerzieller Rundfunkveranstalter wirkte sich negativ auf die in Brandenburg bestehenden lokalen und regionalen Rundfunkveranstalter aus, die sich aus Werbeeinnahmen finanzieren müssten.“ (Ablehnung Brandenburgs). Weiterhin verwies Brandenburg darauf, dass in Berlin bereits der Offene Kanal gefördert würde, und die „Schieflage“ in der Mittel-Verteilung nicht weiter verstärkt werden dürfe.
  • Die Schieflage in der Mittel-Verteilung zwischen Berlin und Brandenburg wurde mittlerweile durch das Medieninnovationszentrum Babelsberg (MIZ) ausgeglichen. Die Situation des brandenburger Lokaljournalismus hat sich dadurch jedoch nicht verbessert.
  • Ein Beispiel, dass sich privater und nichtkommerzieller Lokalfunk wirtschaftlich nicht beeinträchtigen, dafür aber journalistisch ergänzen, liefert Potsdam: zum einen existieren hier zwei private Lokalradios, Power Radio und Radio Potsdam, und zum anderen sendet in Potsdam seit 2011 das nichtkommerzielle Lokalradio Frrapo (montags 19:00 – 2:00 Uhr auf 88vier). In Sachsen existieren in den Großstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz neben zwei landesweiten Radioanbietern auch je zwei weitere kommerzielle lokale Anbieter und jeweils ein nichtkommerzielles Radio. Dies zeigt: Vielzahl und Vielfalt sind möglich.
  • In Frankfurt/Oder gibt es seit 2011 das nichtkommerzielle Freie Internetradio Radio Slubfurt. Es wurde 2014 in den Bundesverband Freier Radios (BFR) aufgenommen. Radio Slubfurt spricht mit seiner grenzübergreifenden Ausrichtung ein bisher vernachlässigtes Publikum an. Zudem werden die Europa-Universität Viadrina und das Uniradio ViaFunk von einem nichtkommerziellen Lokalradio profitieren. Aktuelles Zeugnis der lebendigen Freien Radio-Community in Frankfurt/Oder und Slubice lieferte das UKW-Veranstaltungsradio Radio Bunter Hering im Sommer 2015.
  • Cottbus ist die zweitgrößte Stadt Brandenburgs. Neben der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) gibt es dort eine Vielzahl an Initiativen, Einrichtungen, Kunst- und Kulturvereinen, die ein nichtkommerzielles Lokalradio gestalten und von ihm profitieren würden, vor allem aber die nationale Minderheit der Sorben, die im brandenburger Lokalfunk sonst nur einige Stunden auf Inforadio vertreten ist.
  • Brandenburg an der Havel ist die drittgrößte kreisfreie Stadt in Brandenburg. Bis heute gibt es dort keinerlei Art von Lokalradio, auch wenn die mabb im Februar 2014 Kapazitäten für ein Stadtradio in Brandenburg/Havel an die „Radio Group“ vergab. Der Freie Radio-Verein Radio Pax e.V., die Studenten zweier Hochschulen und eine Reihe von Klubs, Kunst- und Kulturvereinen würden in einem NKL Platz zum Diskutieren und Experimentieren finden.
  • Zudem besteht auch in den ländlichen Regionen und kleineren Städten Brandenburgs Bedarf an NKL, beispielsweise in Oranienburg, Falkensee, Eberswalde, Bernau, Königswusterhausen, Fürstenwalde, Schwedt, Neuruppin, Eisenhüttenstadt oder Prenzlau.

Fazit

In Brandenburg stellen NKLs eine ideale Ergänzung zum bestehenden Lokaljournalismus dar, weil sie nahezu konkurrenzlos agieren, gesellschaftlichen Mehrwert erzeugen und den publizistischen Wettbewerb fördern. Davon profitieren die Gattung Radio und der Journalismus, Region und Land, Politik und Demokratie – also die Menschen der Region.